Als ich das erste Mal schwanger wurde, war ich 22. Die Schwangerschaft war nicht geplant und ich habe erst in der 9. Woche diese überhaupt bemerkt. Klar war uns Beiden schon bei den zwei Strichen auf dem Test: wir bekommen dieses Kind, egal was ist. Und eine Woche später war dann der erste Termin beim Arzt, der erste Ultraschall und da war auch schon ein Baby zu erkennen. Ja, da waren kleine Ärmchen und Beinchen dran. Es war ein richtiger kleiner Mensch sichtbar.
Schon gleich bei der ersten Untersuchung, äußerte ich einige Bedenken. Ich hatte nämlich in den 9 Wochen davor mich nicht gerade wie eine Schwangere verhalten: ich hab geraucht und Alkohol getrunken. Alles nicht gerade gut für ein Baby. Mein Arzt reagierte wunderbar darauf. Er meinte alles sehe super aus und wenn das dem Kind geschadet hätte, dann wäre es jetzt höchstwahrscheinlich gar nicht mehr hier. Kein drängen zu weiteren Untersuchungen. Nichts. Er merkte wohl, dass mir das alles ziemlich neu und ich sowieso schon ein wenig überfordert mit der Situation war.
Nur eine Woche später fuhren wir dann zu unseren Familien. Ich hatte wieder angefangen mich omnivor zu ernähren (vorher war ich lange Veganerin), weil ich dachte das wäre besser fürs Baby. Bei meinen Eltern gab es Räucherlachs und ich aß eine Menge davon. Ist ja gut fürs Baby… Ihr merkt, ich hatte wirklich keinerlei Ahnung von alldem. Wir erzählten unseren Familien von der Schwangerschaft, alle freuten sich und alles war gut. Aber dann kamen erste Sorgen. Wir wurden gebeten doch bitte auf jeden Fall eine Nackenfaltenmessung machen zu lassen. Nackenfalten? Was? dachte ich. Und wenn uns das zu viel Geld sei, würde es uns auch bezahlt werden. Ich musste erstmal googeln.
Schnell stellte sich heraus eine Nackenfaltenmessung ist dafür da mögliche genetische Defekte auszuschließen. Oder eben anzunehmen, um dann möglichst noch rechtzeitig eine Abtreibung vornehmen zu können. Da waren wir dann wieder bei einem Thema, bei dem ich mich auskannte. Ich hatte nämlich einige Jahre zuvor eine längere Arbeit über ethische und religiöse Aspekte der Abtreibung geschrieben und mich in dem Zuge auch sehr intensiv mit Abtreibungen beschäftig. Ich hatte sogar einige Filme dazu gesehen. Bei dem reinen Gedanken an diese wird mir noch über 10 Jahre später schlecht. Nein, eine Abtreibung kam nicht in Frage. Keinesfalls. Egal was wäre, dieses Kind wird zu uns kommen. Damit war auch die Feindiagnostik kein Thema mehr für mich.
In den letzten Jahren hat die Medizin eine Menge Fortschritte gemacht. Es gibt immer mehr Test und damit können auch immer mehr Kinder schon vor der Geburt „aussortiert werden“. Viele sehen diese Tests positiv, weil den Eltern und der Gesellschaft ein eventuell schwer krankes Kind „erspart“ wird!
Ich kenne inzwischen einige Geschichten zu Menschen, die wahrscheinlich aufgrund dieser Diagnostik auch hätten nicht am Leben sein können. In der Nähe meiner Eltern zum Beispiel wohnte lange ein älteres Paar zusammen mit ihrem erwachsenen behinderten Sohn. Der Sohn war bestimmt schon über 40 Jahre alt. Ein freundlicher Mann, der in einer Gärtnerei kleine Tätigkeiten ausübte, nur kurze Strecken allein mit seinem Fahrrad fuhr und sonst im Alltag jemanden brauchte der ein bisschen auf ihn aufpasst.
Auch in der Kita meiner Töchter sind einige Kinder, die vielleicht auch nicht hätten da sein können. Emma zum Beispiel ist eines dieser Kinder. Ein so süßes Mädchen. Ein Mädchen bei der ich mir nicht wirklich vorstellen kann, dass sie eine große Belastung sein könnte. Klar ist sie sicherlich manchmal anstrengend, aber das sind meine Kinder auch. Als ich dann letztens diesen Artikel hier las, in dem eine Frau den Satz sagt “Das solche Kinder überhaupt leben. Ich finde so etwas unverantwortlich.” wurde mir ein bisschen übel. Ich verstehe einfach nicht warum erwartet wird, Kinder bei denen bei der Pränataldiagnostik eine Trisomie 21 festgestellt wird, abzutreiben. Diesen Kindern soll ein Leben verwehrt werden. Ein Leben was die Eltern und die Umwelt bereichern kann? Warum? Auch ein Kind mit einer Trisomie kann ein wundervolles Leben haben, es kann Schauspielerin werden und hat auch sonst so viele Möglichkeiten. Vielleicht ist das Kind ein wenig anders, aber auch meine Kinder haben ihre Defizite die ihnen manchmal im Weg stehen. Defizite stammen nicht zwingend von „genetischen Defekten“. Ich zum Beispiel bin ein sehr emotionaler und perfektionistischer Mensch, was mir wirklich oft im Weg steht. Diese Eigenschaften behindern mich immer wieder in meinem Alltag. Aber als behindert wurde ich trotzdem noch nie bezeichnet. Vielleicht gibt es in 100 Jahren einen vorgeburtlichen Test, der besonders emotionale Menschen bestimmen kann. In 100 Jahren würde ich vielleicht in der 13. Schwangerschaftswoche aussortiert werden.
Ich finde es wirklich schwierig, Babys anhand von Tests vor ihrer Geburt in Kategorien einzuteilen die lebenswertes und nicht-lebenswerten Leben deklarieren. Denn wir können nicht voraussehen was passiert, wie zum Beispiel auch in dieser Geschichte. Auch eine Frau, die mir sehr nahe steht, hätte aufgrund einiger Komplikationen in der Schwangerschaft schwere Behinderungen haben können. Und jetzt ist sie zu einem so wundervollen und komplett gesunden Menschen heran gewachsen. Warum diese Möglichkeit über die Zukunft eines Lebens zu bestimmen, wegen einiger Tests die eine Fehlerwahrscheinlichkeit haben? Denn keiner dieser Tests kann zu 100% vorher sagen, was da nun genau sein wird mit dem Kind. Und warum wird überhaupt das eine als Behinderung bezeichnet und das andere nicht?
Ich habe mich auch bei der zweiten Schwangerschaft, wieder komplett gegen vorgeburtliche Diagnostik, neben dem normalen Ultraschall, entschieden. Und ich würde das auch in Zukunft immer wieder tun, denn alle Menschen (denen eine Behinderung deklariert wird), die ich bislang kennen gelernt habe, konnten mich nicht überzeugen dass das Wissen um eine mögliche Behinderung ein Grund für einen Abbruch wäre. Es sind alles wundervolle Menschen und ihr Leben ist es wert gelebt zu werden, genau wie jedes andere. Auch wenn es vielleicht ein wenig anders läuft, als beim Durchschnitt der Gesellschaft. Dieses anders wird nie ein Grund für mich sein, Kindern kein Leben zu ermöglichen.
3 Comments
Anna
16/09/2018 at 9:32Danke Sarah, für diesen wunderbaren Artikel!
Katrina
17/01/2019 at 8:43Wunderbar geschrieben 👍🏻
Es sollten noch viel mehr Leute so denken . Wir denken genau so und haben uns auch wie ihr nur für die Standarte Ultraschall Untersuchungen entschieden und haben es keinen Moment betreut .
Sarah
17/01/2019 at 23:02Wie schön. <3