Am letzten Wochenende war ich mit meinen Töchtern im Zug unterwegs. Gebucht hatten wir das Kleinkindabteil. Im Gegensatz zu Christian (ein anderer nicht unserer) finde ich das eigentlich immer ganz praktisch. Denn dort ist immer viel Platz zum Spielen, es gibt einen großen Tisch und meist sind auch noch andere Kinder da. Bis jetzt hatten wir immer sehr nette Mitfahrer und die knapp fünf Stunden, die wir immer zwischen Frankfurt und Dresden verbringen, gingen dann auch immer schnell vorüber.
Letztes Wochenende saßen wir nur wieder genau auf dieser Strecke in einem solchen Abteil, mit uns zwei weitere Mütter und ihre Söhne. Der eine saß sehr gelangweilt herum als wir einstiegen, die Mutter schaute auf ihr Handy. Die andere Mutter hatte unsere reservierten Plätze besetzt. Nachdem ich sie auf unsere Reservierung hinwies, rutschte sie etwas bei Seite. Da sie nur ein kleines Stück mitfahren wollte, war es für uns okay das sie blieb. Es war etwas eng und die Töchter deswegen genervt. So bespaßte ich die Beiden mit vorlesen, malen und Knabberkram. Der Junge mit der immer noch Handy-lesenden Mama schaute hinüber. Ihm schien langweilig zu sein. Irgendwann rutschte er von seinem Sitz um zu uns zu kommen und uns beim Lesen zuzusehen. Als seine Mutter dies bemerkte wurde ihm bestimmt mitgeteilt, er solle sich wieder setzen. Als er dies getan hatte, holte sie ihr Buch hervor und begann in diesem zu lesen. Irgendwann fragte er seine Mutter, ob sie mit ihm auf Toilette gehen könnte. Sie gingen. Wieder zurück las sie weiter in ihrem Buch und erwartete von ihrem Sohn das er auch weiter still neben ihr sitzt. So ging das die nächsten 4 Stunden. Sie las und er bekam nur ihre Aufmerksamkeit, wenn er auf die Toilette musste. Er musste ganze 5 mal während dieser Reise. Meine Tochter brachte ihm nach einiger Zeit ein Pixibuch. Sie hatte festgestellt, dass der Junge gar keine Spielsachen dabei hatte und wir so viele.
Natürlich versuchte der Junge zwischendrin immer mal wieder seinem Sitz zu entfliehen und mit den anderen Kindern im Abteil zu spielen. Dann flogen sofort Sätze wie “Beim nächsten Bahnhof stell ich dich vor die Tür, wenn du dich jetzt nicht wieder hinsetzt” und ähnliches durch den Raum. Der Junge hörte und saß dann auch wieder still neben seiner Mutter. Erziehung gelungen?
Die Mutter schien an dem Tag sichtlich genervt zu sein. Klar das kommt vor. Bin ich auch öfters. In solchen Momenten versuchen wir Mamas oft unsere Kinder ruhig-zu-stellen und selbst etwas Zeit zu haben um wieder zur Ruhe kommen zu können. Ich lasse unsere Töchter dann meist auf dem Smartphone spielen oder mache ihnen einen Film an. Diese Mama hat ihrem Kind Angst gemacht. Denn genau die hat der Sohn bekommen, als sie ihm drohte ihn vor die Tür zu stellen. Sehr wahrscheinlich hätte sie dies nie wirklich getan, aber das kann er leider nicht wissen. Für ihn klang der Satz sehr bedrohlich. Denn was heißt es für ein kleines Kind, wenn ihm gesagt wird, dass es allein gelassen werden würde? Es wäre schutzlos und es würde seine Bezugsperson verlieren. Bei so einer Drohung würde ein Kind wohl alles tun, damit diese nicht wahr wird. So auch der Junge.
Vor mehr als zwei Jahren war ich einmal sehr genervt, weil meine Tochter mir nicht beim Aufräumen helfen wollte. Ich drohte ihr ihre Spielsachen dann eben aufzusaugen. Noch sehr lange danach bekam sie immer wieder Angst, dass gleich ihre geliebten Spielsachen im Staubsauger verschwinden würden, wenn ich diesen an machte. Es brauchte lange und viele Worte meinerseits, bis sie mir glaubte, dass ich das nicht wirklich machen würde.
Kinder glauben unsere Worte! Ihnen ist nicht bewusst, dass wir solche Sätze nur taktisch benutzen um ein bestimmtes Handeln bei ihnen zu erreichen. Solche Worte machen unseren Kindern Angst. Sie fühlen sich bedroht und folgen unseren Forderungen um diese Bedrohung abzuwenden.
Klar, die Methode funktioniert. Aber welchen Preis hat sie? Kinder lieben ihre Eltern bedingungslos, was vor allem daran liegt das sie von uns abhängig sind und weil wir ihre primäre Bezugsperson sind. Eine Person der sie vertrauen. Sie brauchen uns, denn allein wären sie in dieser Welt schutzlos. Wenn diese sehr enge Beziehung zusätzlich durch Angst geprägt wird, wird daraus eine ambivalente Beziehung. Das Problem an einer ambivalenten Eltern-Kind-Beziehung ist, dass das Kind den Elternteil nicht mehr als “sicheren Hafen” wahr nimmt. Das Kind kann sich dann nicht mehr auf seine Bezugsperson verlassen. Es ist auf der einen Seite abhängig von der Zuneigung seiner Eltern, weiß aber nie genau ob es diese auch bekommt wenn es sie braucht. Das Kind wird dann unsicher.
Wenn ich mir als Mutter wünsche, dass meine Kinder sich selbstständig beschäftigen kann muss ich ihm Schutz geben. Ich muss meinem Kind ein sicherer Hafen sein. Denn nur Kinder die ihre Bezugsperson so wahr nehmen, trauen sich in die Welt hinaus. Nur diese Kinder erkunden frei und selbstständig ihre Umgebung. Sie gehen selbstsicher hinaus mit dem Vertrauen, dass jemand da ist. Meine Kinder müssen wissen, dass ich immer da bin in Notsituationen. Auch wenn Notsituationen bei Kindern natürlich anders zu definieren ist. Wenn ich aber vorher mein Kind mit Angst erzogen habe und eine ambivalente Beziehung entstanden ist, dann ist dieser Zustand des selbstständig spielenden Kindes schwer zu erreichen. Denn wie soll ein Kind seine Bezugsperson als sicheren Hafen empfinden, wenn diese es zuvor so stark geängstigt hat? Also auch wenn diese Erziehungsmethode zuerst wirkungsvoll erscheint, so ist sie doch eigentlich sehr kontraproduktiv.
Die oben erzählte Geschichte war natürlich nur eine Momentaufnahme. Ich weiß nicht, wie der Umgang zwischen der Mutter und ihrem Sohn sonst ist. Vielleicht war es nur ein ganz mieser Tag. Aber der Moment den ich miterlebt habe, hat sehr deutlich gezeigt was Angst bei Kindern bewirkt.
1 Comment
Claudia
12/05/2016 at 22:01Viele Dinge rutschen uns unbewusst raus, oder man benützt Phrasen die man selbst als Kind oft gehört und gehasst hat wie ” Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.”
Unglaublich ist wie die Kinder das bis zu einem gewissen Alter alles für bare Münze nehmen. Letztes Mal wurde ich im Auto (ich durfte Kindergeburtstags-Taxi spielen) Zeuge einer Kinder-Unterhaltung. Die Jungs unterhielten sich über den Unterschied zwischen Lügen, flunkern, Notlüge,…… Als der jüngste (gerade 5 geworden) bedeutungsvoll sagte:” Ich weiß was passiert wenn man lügt…… Da fällt einem Nachts der Pipi ab.” Absolute Stille im Auto, bis der Größte (7 Jahre) zögerlich sagt “Da wollte dir die Mama doch bestimmt nur Angst machen, oder?”
Im ersten Moment musste ich schmunzeln, doch im Nachhinein wunderte ich mich echt, was wir alle doch ab und zu den Kindern für Schauermärchen erzählen🙈ohne dabei daran zu denken dass uns unsere Kinder alles aber auch wirklich alles glauben.
An diese Momentaufnahme musste ich bei deinem Bericht gerade denken.
Lg
Claudia