Schwesternliebe&Wir
Leben mit Kindern

Gastartikel: Juli 2012

Es gibt diese Blogs, bei denen ich wirklich jeden Artikel lese, weil sie einfach immer schön sind oder ich die Menschen dahinter einfach mag. Auf die heutige Gastautorin trifft beides zu und wenn ihr sie noch nicht kennt, dann schaut unbedingt mal bei ihr vorbei! Die liebe Katharina von Sonea Sonnenschein hat zwei wundervolle Kinder und lebt in Köln. Sie näht gern und viel. Ihre Texte liebe ich sehr und dazu gibt es immer wieder richtig tolle Fotos von ihrem wirklich sehr talentierten Mann.

Juli 2012

Ich sitze in der Bahn. Es ist stickig und überfüllt. Ich bin sehr froh den Schweißgeruch nicht riechen zu können. Der Anblick der roten Köpfe mit Schweißperlen auf der Stirn und die verräterischen Kränze auf den Rücken und unter den Achseln diverser Leute lässt mich nochmal tiefer in meinen Sitz sinken. Froh darüber einen Sitzplatz erlangt zu haben. Nicht nur in Anbetracht der dicken Kugel, die ich vor mir hertrage. Oder ganz besonders eben drum.

Dankbar bin ich auch dafür, dass meine Tochter seit wenigen Wochen endlich den Kindergarten besuchen kann. Lange mussten wir darauf warten. Dreieinhalb Jahre ist sie nun alt. Die letzten Monate waren sehr anstrengend. Ich stelle mir vor wie meine Tochter gerade mit den anderen Kindern spielt. Sie geht gerne in den Kindergarten. Ob die anderen Kinder sie akzeptieren? Ach, ich denke schon. Das war noch nie ein Thema. Wir besuchten von Geburt an ganz normale Krabbelgruppen, Babymassage-Kurse, die Musikzwerge, gingen zum Babyschwimmen und später auch in den Vorkindergarten.

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Beim Babyschwimmen habe ich auch die Mutter kennengelernt, zu der ich gerade fahre. Felice. Eine zielstrebige Bänkerin mit einem Faible für Spießertum. Ich mag sie trotzdem irgendwie, auch wenn uns niemals eine tiefe Freundschaft verbinden wird und obwohl sie mir in ihrer Erziehung ein Hauch zu streng ist. Aber das muss jeder selbst entscheiden. Mir sagt sie immer wie gelassen ich im Umgang mit meiner Tochter doch bin (übersetzt heißt das soviel wie: Du bist völlig inkonsequent). Aber zum Glück gibt es ebenso viele andere, spannendere Themen als Kindererziehung. Und deshalb freue ich mich auf ihren Geburtstagsbrunch mit anderen (mir unbekannten) Müttern. Außerdem ist in zwei Wochen Entbindungstermin. Dann ist erstmal Schluss mit meinem Latte Macchiato-Mamadasein.

Also genieße ich noch ein kleines bisschen die winzige Zeitspanne zwischen Kitastart und Entbindung Vol. II.

Wenn alles planmäßig läuft, bleiben mir drei Wochen.

Eigentlich wäre ich gerne wieder arbeiten gegangen als meine Tochter 1 1/2 – 2 Jahre alt war. Das hätte ihr gut getan. Und mir auch. Auch wenn ich dankbar für die Zeit bin, die uns noch länger geblieben ist. Tagsüber, so ganz alleine als Mama und Tochter. Und nach ihrer Geburt dachte ich ja sowieso, dass ich nie wieder arbeiten gehen könnte. So vieles habe ich nicht für möglich gehalten.

Ich fühle mich um meine Babyzeit mit ihr beraubt. Wie sehr hätte ich mir diese unbeschwerte Babyzeit gewünscht, von der immer alle sprechen. Statt dessen war sie überschattet mit Traurigkeit, Ängsten, Sorgen und vielen Terminen. Okay… nicht ausschließlich. Denn die Liebe zu unserer Tochter und ihre Liebe zu uns war stärker als all das. Und vor allem ihr Lächeln. Ihr zauberhaftes, einmaliges Lächeln, ihr klangvolles, ansteckendes Lachen und ihre Fröhlichkeit – da kann man einfach nicht traurig sein.

Heute frage ich mich so oft warum ich es eigentlich war. Ich hatte doch das Kind bekommen, das ich mir genau so gewünscht habe. Sie ist rundum perfekt. Okay, sie hat außerdem ein Chromosom mehr. Aber so ein Chromosom ist so winzig klein und die Angst und Panik davor proportional so groß, dass mir direkt das Bild vom Elefanten und der Maus (nicht die aus der Sachsendung für Kinder) kommt und ich über diesen Vergleich lachen muss.

Bis jetzt haben wir doch ein recht normales Leben gelebt. Unsere Familien und Freunde machten es uns relativ leicht. Und auch sonst scheint das Down-Syndrom in unserem Jahrhundert nicht mehr soooo das Problem zu sein (wenn man mal die Pränataldiagnostik ausklammert).

Ich strecke meine Beine leicht aus. In den letzten Wochen hat sich doch noch ein bisschen Wasser angelagert. Lange sitzen ist unbequem, die Beine sind schwer.

Manchmal, wenn wir durch die Stadt laufen, ist mein Kind ein bisschen behindert. Die Blicke der Leute sorgen dafür. Zu Hause ist sie ein völlig normales Kind. Mittlerweile. Auch das brauchte seine Zeit. In den ersten zwei Jahren fiel es mir schon schwer als die Spanne zwischen den Normalo-Kindern und meinem immer größer wurde. Das piekste ganz schön. Und manchmal heulte ich auch die halbe Nacht in mein Kissen. So wie damals, kurz nach der Geburt. Aber das ist zum Glück vorbei.

Nachdenklich blicke ich aus dem Fenster. Wenn nicht diese furchtbar überstylte Lady mit nem halben Pfund Spachtelmasse im Gesicht die ganze Zeit lautstark mit ihrem Typen am Telefon diskutieren würde, wäre es herrlich ruhig. Ich besitze nun Insiderwissen über das Liebesleben eines Sonnenbankgerösteten Schminktäschchen auf Leoparden High Heels und rausgewachsener Dauerwelle. Hallo Klischee! Und bitte. Wer löscht mir jetzt diese Bilder aus dem Kopf?

„Nächster Halt – Akazienweg“. Hier muss ich raus. Endlich! Ich bereite mich zum Aussteigen vor. Mit diesem Bauch ist Aussteigen nicht mehr ganz so einfach.

Immer wieder muss ich an meine Tochter denken. Just in dem Moment bekomme ich eine Nachricht von der Erzieherin mit einem Bild meiner Tochter. Über beide Ohren strahlend, die Hände voller Fingerfarbe, das Gesicht rosig vor Aufregung. „Alles gut!“ steht da.

Ja, jetzt wird alles gut, denke ich.

Ich bin so glücklich, dass wir diese Kita gefunden haben. Und auch, dass es nicht die war, bei der wir uns zwei Jahre zuvor vorgestellt haben. In der hoffnungslosen Hoffnung auf einen U3-Platz.

Zu betreuungsintensiv hieß es seitens der Eltern in der Elterninitiative, die sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hatten mein Kind kennenzulernen. Alleine der Gedanke daran macht mich wütend und ich kämpfe mit den Tränen. Scheiß Hormone aber auch! Mein Sohn pflichtet mir von innen mit ein paar temperamentvollen Tritten bei.

Ich bin angekommen und sitze wenige Minuten später an einer opulenten Tafel in dem lupenreinen Haushalt von Felice. Mit einer Sprühflasche Sidolin  bewaffnet und einem Paar hübsch gepunkteten Gummihandschuhen in rosa (natürlich… passend zu den Küchenwänden) an den perfekt manikürten Händen, kommt Felice zurück ins Wohnzimmer gehetzt.

„Fühlt Euch wie zu Hause!“ presst sie gehetzt und leicht außer Atem hervor. „Gregors Mutter hat sich heute Morgen prompt verspätetet und Leopold hat die Gelegenheit genutzt sich über meine selbst gebackenen Zimtschnecken herzumachen“.

Gregor ist Felices Mann. Ein glatzköpfiger, etwas untersetzter kleiner Mann. Mir nicht wirklich sympathisch. Bei seiner Frau bin ich mir noch nicht so ganz sicher, ob sie ihn wirklich mag. Aber irgendwie muss Leo ja entstanden sein. Eins weiß ich aber bestimmt – ihre Schwiegermutter hasst sie abgrundtief und nutzt jede sich bietende Gelegenheit die Oma für ihr eigenes Verfehlen verantwortlich zu machen.

Während Felice leicht hysterisch ein paar klebrige Abdrücke auf der Lehne des Rolf Benz Sofas wegschrubbt, schaue ich mich ein wenig schüchtern in der Frauenrunde um und beginne mich ein wenig unwohl zu fühlen in dieser Runde voller durchgestylter, modisch gekleideter Mamas. Vielleicht sollte ich zur Auflockerung mal fragen was das für ein Nagellack ist, den diese brünette Mutti mit dem pfiffigen Kurzhaarschnitt und dem russischen Akzent trägt. Der ist echt toll! Und auch wenn ich genug Nagellacke zu Hause stehen habe und meine Zehen eh nur noch mit Mühe und viel Anstrengung zu sehen bekomme, möchte ich doch einigermaßen ansehnlich in den Kreissaal watscheln. MIT dem Nagellack dieser… Natasia, wie ich kurze Zeit später erfahre.

Endlich sitzt auch Felice am Tisch und der Frühstücksbrunch ist eröffnet.

Eigentlich ist es eine ganz nette Runde, ein bisschen oberflächlich, aber auch nicht unangenehm. Während zwei Mütter für das Brokkolisüppchen aus dem Thermomix schwärmen und sagen, dass sie unbedingt das Rezept haben müssen und Felice nicht verlegen ist damit zu prahlen was sie noch so für köstliche Rezepte auf ihrem Cookidoo hat, bin ich schon wieder in meinen Gedanken versunken und schmunzle leicht in mich hinein. Lange habe ich geglaubt, dass Felice irgendwelche südländlichen Wurzeln hat. Mit ihrem Namen, dem dunklen Teint und den langen schwarzen Haaren nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber vor ein paar Wochen erfuhr ich dann, dass sie ursprünglich aus dem tiefsten Osten kommt. Und ihre Eltern Wilhelm und Edeltraut auch alles andere als temperamentvolle Italiener oder Griechen sind.

Petra, eine der anderen Mamas, mit dem Pailletten-bestickten Shirt, wie sie gerade schwer angesagt sind und einer kunstvoll mit dem Lockenstab frisierten Mähne, fängt plötzlich an zu schluchzen „Ich hatte gestern im „Sankt Peters“ das Entwicklungsgespräch von Lara. Ich weiß ja, dass sie manchmal etwas laut und unkontrolliert ist, aber sie wollen, dass wir die Einrichtung wechseln, weil Lara ANGEBLICH nicht tragbar ist und einen integrativen Platz braucht.“

Betretenes Schweigen. Warum sagt denn keiner was?! Nervös breche ich das Schweigen als Erstes und erzähle von meiner Tochter. Ich erzähle davon, dass es doch ein großes Geschenk ist, wenn ihrer Tochter die Förderung bekommt, die sie braucht und dass es gut ist, dass man frühzeitig erkannt hat, dass es ihr helfen wird, wenn sie noch mehr fördern wird. Ich versuche sie zu ermutigen dieses Geschenk anzunehmen und die ganze Sache positiv zu sehen.

Statt dessen habe ich mit meinem Gerede offensichtlich alles noch viel schlimmer gemacht „Ich… habe… habe doch… kein… behindertes… Kiiiiiiind!“

Oh.

Nachdem die anderen Mütter, die das Kind alle persönlich kennen, weil ihre Kinder in den gleichen Kindergarten gehen (… ich freue mich plötzlich noch einmal mehr über unsere eigene bodenständige Einrichtung…), dieser Petra gut zugeredet und sie behätschelt und getröstet haben, soll das Gespräch nicht wieder zu irgendwelchen Beautyweisheiten oder anderen belanglosen Themen übergehen.

Plötzlich geht es um Inklusion und natürlich über integrative Kindertagesstätten. Petra möchte die katholische (nicht integrative) Einrichtung um keinen Preis wechseln müssen.

Patricia, eine unscheinbare Mitdreißigerin, mit ein paar Pfund zu viel… überall, viel zu starkem Haaransatz einer verblassten roten Haarmähne, und die irgendwie vom Erscheinungsbild so gar nicht in die Runde passt, mir aber dennoch von allen am sympathischsten ist, meldet sich zu Wort: „Also MEIN Mann, war von vorn herein TO-TAL gegen Integration. Auf gar keinen Fall wollte er, dass ich unseren Lukas in einen integrativen Kindergarten gebe. Er würde doch nur unter diesen behinderten Kindern leiden, die ständig die Aufmerksamkeit der Betreuungspersonen brauchen. Nein, mein Lukas soll nicht unter DENEN leiden müssen.“.

Das sitzt. Wie ein Faustschlag ins Gesicht. Und irgendwie bin ich heute auf solch ein Gespräch nicht vorbereitet. Die Hormone gaben mir noch den Rest.

Nach einem kurzen Zögern verabschiede ich mich ziemlich hastig und murmele irgendwas, dass ich meine Tochter aus der Kita abholen müsse. Verdutzte Gesichter.

Wenige Minuten später sitze ich in der Bahn und wische mir ein paar dicke Wuttränen von den Wangen. Ich bin vor allem wütend auf mich und darauf nicht im richtigen Moment die passende Antwort gegeben zu haben. Warum kann man nicht einfach schlagfertig sein, wenn man es mal wirklich braucht?? Das ist alles so ungerecht! Vor allem meiner Tochter gegenüber. Mein wunder Punkt. Warum maßen sich immer die Leute an, sich eine Meinung bilden zu können, die gar keine Ahnung haben?? Warum sind diese Leute immer so laut und haben nicht ein bisschen Anstand einfach mal die Klappe zu halten?

Ich fahre an diesem Vormittag direkt in den Kindergarten und freute mich darauf den restlichen Tag mit meinem wunderbaren, kleinen Mädchen zu verbringen. In wenigen Wochen ist sie schon eine große Schwester. Ich lächle, der Gedanke an mein wunderbares, perfektes Kind, macht mich sofort wieder glücklich.

Felice und ihre komische Müttergruppe habe ich seitdem nicht mehr gesehen und auch nicht vermisst…

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1 Comment

  • Reply
    Carina
    18/11/2016 at 20:11

    Ein so wunderschöner aber zugleich auch trauriger Artikel <3

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